Kirche gemeinsam erneuern statt hinschmeißen
Peter Kieweg, Pfarrer des Pfarrverbandes Ering, hat auf das Aufsehen erregende Gutachten einer unabhängigen Rechtsanwaltskanzlei über sexuellen Missbrauch in der Erzdiözese München und Freising auf seine Art reagiert. Er lud kurzfristig für vergangenen Freitag zu einer Gesprächsrunde in den Vereinsraum des Eringer Rathauses ein. Zwölf Personen, sieben Frauen und fünf Männer, waren gekommen.
"Es geht mir vor allem darum", sagte der Pfarrer im Vorfeld, "einen Raum für jene anzubieten, die darüber sprechen und manches einfach auch gegenüber einem Vertreter der Kirche aussprechen möchten. Es liegt auf der Hand", fügte er an, "dass ich auf vieles keine Antwort haben werde, auch keine konkreten Antworten haben kann." Er wolle aber nicht nur als Zuhörer anwesend sein, sondern versuchen, "meine persönliche Sicht darzulegen".
Kieweg begrüßte die Teilnehmer der Gesprächsrunde. In einer kurzen Einführung zeigte er sich fassungslos und gleichzeitig erschüttert über das Ergebnis des Gutachtens. Im Namen der Kirche entschuldigte er sich für das sexuelle Fehlverhalten kirchlicher Personen, die ihnen anvertraute Kinder und Jugendliche würdelos behandelt hätten. Er bat die Anwesenden, sich darüber zu äußern, was das Gutachten in ihnen ausgelöst hat und wie sich dies auf ihre Einstellung zur katholischen Kirche auswirkt. Der Pfarrer wünschte eine offene Diskussion.
Schon bei den ersten Redebeiträgen wurde deutlich, dass die versammelten Kirchenmitglieder nicht nur wegen der betroffenen Kinder und Jugendlichen, die ihr ganzes Leben unter den Vorkommnissen leiden, tief berührt waren, sondern vor allem auch deshalb, weil sie nicht oder kaum als Opfer wahrgenommen wurden und die Institution Kirche mit allen Mitteln versucht hat und noch immer versucht, die Geschehnisse zu vertuschen.
Erschüttert über die Rolle von Papst Benedikt
"Es kann doch nicht sein, dass Diener der Kirche, die Nächstenliebe, Rücksichtnahme, Toleranz und Wertebewusstsein predigen, so schamlos mit unschuldigen und wehrlosen Menschen umgegangen sind", war der Tenor der Aussagen.
In diesem Zusammenhang wurde schnell die Frage aufgeworfen, wie man mit Bischöfen und hohen Kirchenvertretern umgehen soll, die vertuscht, verheimlicht und verniedlicht haben. Erschüttert waren einige Gesprächsteilnehmer über die Rolle von Papst Benedikt XVI., der offensichtlich gelogen hat und nun leise zugibt, dass er als Verantwortlicher des Erzbistums München und Freising Priester, von denen er wusste, dass sie Missbrauch getrieben haben, nicht zur Rechenschaft gezogen, sondern lediglich versetzt hat. Einer der Anwesenden verlangte, den Papst deswegen vor Gericht zu stellen.
Allgemein wurde es als nicht mehr zeitgemäß beurteilt, dass die katholische Kirche ihre eigene Gerichtsbarkeit hat und von daher befugt ist, Rechtsübertretungen selbst zu verfolgen bzw. nach Gutdünken zu regeln. Wie jeder deutsche Staatsbürger sollten ebenso die kirchlichen Amtsträger bei Vergehen vom Staat abgeurteilt werden. Letztendlich war man sich einig, dass die Kirche, wolle sie ihr früheres Ansehen zurückgewinnen, ihre Strukturen überdenken und neu ordnen müsse, unter Berücksichtigung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Das gelte für die Institution Kirche, nicht für die Kirche als Hort des Glaubens. Hier gebe es gute Ansätze durch den synodalen Weg, der in Zukunft im Zusammenwirken von Klerus und Laien beschritten werden soll.
Pfarrer Kieweg versuchte in Vergleichen aus der Lebenswirklichkeit herauszuarbeiten, dass man sehr genau analysieren müsse, bevor man urteile und zu unangemessenen Schlussfolgerungen komme. Sicher sei es falsch, dass die Kirche sexuellen Missbrauch aus den eigenen Reihen vertuscht habe. Da gebe es in der Sache keine unterschiedlichen Meinungen. Nur, wenn man begründen wolle, warum so etwas passiert ist, helfe eine familiäre Betrachtungsweise weiter.
"Welche Mutter oder welcher Vater", fragte er, "stelle sich nicht vor das eigene Kind, wenn es Schlimmes verbrochen hat?" Die Antwort: "Weil man es schützen möchte vor bösen Anfeindungen und öffentlicher Zur-Schau-Stellung." Und so habe auch die Kirche, Institution für Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und moralisch fundierte Lebensgestaltung, vieles unter den Teppich gekehrt und fälschlicherweise nicht sachgerecht behandelt. "Jeder Verantwortungsträger weiß, dass das Böse, das herauskommt, viel größeren Schaden anrichtet, als wenn es transparent und verantwortungsbewusst nach den allgemein geltenden Regeln verarbeitet worden wäre."
Nächstenliebe und soziales Engagement stärken
Zu der Forderung, die Kirche müsse sich neu strukturieren, meinte Erings Pfarrer: "Hier sei zunächst zu klären, ob die Kirche wie bisher nach den überlieferten Werten des christlichen Glaubens ausgerichtet sein soll und dadurch hohe Zahlen von Kirchenaustritten in Kauf nimmt und an Bedeutung verliert oder ob sie sich den Forderungen aus der Gesellschaft nach einschneidenden Veränderungen unterwirft."
Kieweg sprach sich dafür aus, einen Weg der Erneuerung auf der Grundlage des synodalen Weges zu beschreiten – im Bemühen, den Glauben zu stärken durch Gebet, Nächstenliebe und soziales Engagement. Die Christen in unserer Gesellschaft sollten sich klarmachen, dass Christsein gerade heutzutage heißt: Verantwortung für den christlichen Glauben übernehmen.
Ein weiterer Diskussionspunkt war das Zölibat, die Ehelosigkeit der Geistlichen in der katholischen Kirche. Eine Mehrheit der Anwesenden vertrat die Meinung, dass das Zölibat unbedingt aufgelöst gehöre. Damit würde der sexuelle Druck, dem Menschen unterliegen, abgebaut werden. Diesem Standpunkt widersprach Pfarrer Kieweg. Dies beweise die evangelische Kirche, die keine Ehelosigkeit für ihre Geistlichen kennt. Trotzdem gebe es dort sexuellen Missbrauch ähnlich wie in der katholischen Kirche.
Am Schluss der Gesprächsrunde äußerten sich die Teilnehmer über eigene Konsequenzen, die sie aus dem Missbrauchsskandal der katholischen Kirche für sich ziehen wollen. Einer der Männer sagte, er wisse noch nicht, ob er seine katholische Religionszugehörigkeit behalten werde. Zu enttäuscht sei er von der Haltung der Kirchenobrigkeit bis zum Papst hin. Aus den Äußerungen der anderen Anwesenden war herauszuhören, dass es keinen Sinn mache, die Religion, in der man groß geworden und von der man getragen worden sei, einfach hinzuschmeißen. Vielmehr komme es jetzt darauf an, den Glauben bewusster zu leben und mitzuhelfen, dass die Kirche aus ihren Nöten herauskommt.
Eigenverantwortung sei jetzt gefragt. Eine Teilnehmerin sagte: "Ich trenne für mich in meiner Beurteilung Kirche und Glauben. Kirche wird von Menschen gemacht, die immer Irrtümern und Fehlleistungen unterliegen. Der Glaube dagegen ist das wirklich Wahre."
Quelle: PNP
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