104-Jährige aus Ering erzählt über ihr ereignisreiches Leben
Unlängst hat Brigitte von Thun-Hohenstein aus Ering ihren 104. Geburtstag gefeiert. Die älteste Gemeindebürgerin gibt der Heimatzeitung einen Einblick in ein über 100-jähriges Leben.
1920 wurde Brigitte von Thun-Hohenstein in Steglitz-Zehlendorf, einem Verwaltungsbezirk Berlins, geboren. „Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit – ohne es wahrzunehmen“, sagt sie heute über die Zeit. Besonders in Erinnerung geblieben sind ihr die Fahrten zu den Großeltern nach Garmisch-Partenkirchen.
Sie und ihre zwei Jahre ältere Schwester Ursula durften die Strecke oft alleine mit dem Zug fahren, da damals niemand Zeit hatte, sie hin- und zurückzubringen. „Das haben sie uns mit zehn und zwölf Jahren zugetraut. Von Berlin nach Garmisch-Partenkirchen sind das immerhin sieben, acht Stunden gewesen“, so die 104-Jährige.
Sie kann sich heute noch daran erinnern, wie sie und ihre Schwester sich auf die Stufen der Waggons gesetzt haben, um in die Landschaft zu schauen. „Das hätte uns niemand erlaubt, das war ja gefährlich. Aber wir empfanden es damals nicht so“, weiß von Thun-Hohenstein noch.
1930 wurden die Schwestern auf ein Mädcheninternat in Magdeburg geschickt. Geleitet wurde die Schule von den Armen Schulschwestern. Zwei Jahre lang wohnten sie im Internat, bis sie 1932 auf ein katholisches Lyzeum in Berlin wechselten. Mit 16 Jahren verließ Brigitte von Thun-Hohenstein ohne Abschluss die Schule. „Lernen ist mir noch nie leicht gefallen, an Mathematik bin ich gescheitert.“
Mit 18 entschied sie sich, eine Schauspielschule zu besuchen. „Für mich stand schon als Jugendliche fest, dass ich zum Theater möchte“, erklärt die ehemalige Schauspielerin, „mein inneres Wesen wollte das, ich weiß auch nicht warum. Es war einfach notwendig!“
Nach ihrer Ausbildung 1941 zog es von Thun-Hohenstein an ein Theater nach Lübeck. „In einem ausverkauften Saal oben auf der Bühne zu stehen, das ist schon ein besonderes Gefühl. Interesse, Aufregung und auch ein bisschen Angst.“ Vor allem die Sorgen, etwas falsch zu machen oder sich zu versprechen, begleiteten die damalige Nachwuchsschauspielerin. Glücklicherweise ist aber in der Regel alles gut gelaufen, auch weil sich die Darsteller untereinander immer wieder halfen. Und für den Fall, dass jemand wirklich mal einen Hänger gehabt hätte, gab es noch die Souffleuse. „Das war unser Rettungsanker, manchmal hatte man einfach einen Aussetzer.“
Theaterbesucher mussten Holzscheite mitbringen
Die letzten Kriegsjahre waren geprägt von Ressourcenmangel – neben Lebensmitteln und Kleidung war vor allem Holz zum Heizen in den Wintermonaten knapp. So erhielt jeder Theaterbesucher erst eine Eintrittskarte, wenn er vorher ein Brikett oder Holzscheit in einen Korb an der Kasse geworfen hatte. „Wir haben sehr intensiv gespielt, um uns warm zu halten“, erinnert sich von Thun-Hohenstein an die Zeit. Denn auch wetterfeste Kleidung war in den Kriegsjahren eine Rarität. „Die Kriegszeit war etwas Lebensunwürdiges. Mit dem, was wir am Anfang des Krieges hatten, mussten wir bis zum Ende hin auskommen.“
„Einmal hat mir ein Soldat ein Paket mit Sandwiches zugesteckt. Für uns war das eine überwältigende Sache, für ihn ein Frühstück.“ Auch als ihre Schwester Ursula von sowjetischen Soldaten als Dolmetscherin mitgenommen wurde, war es ein US-Soldat, der Brigitte von Thun-Hohenstein die Situation erklärte. „Da fiel mir ein Stein vom Herzen“, weiß sie noch heute.
Die 50er Jahre lebte von Thun-Hohenstein in Salzburg. „Ich hatte während der Schulzeit Schreibmaschinenschreiben und Stenografie gelernt. Meine Mutter sah den Sinn dahinter nicht, aber ich dachte mir damals: Wer weiß, ob man damit nicht später eine Familie ernähren muss“, erinnert sich die 104-Jährige.
Ein Glücksfall, wie sich herausstellen sollte, denn mit ihren Kenntnissen fand sie, trotz der hohen Arbeitslosenquote in den Nachkriegsjahren, eine Anstellung in Bad Reichenhall als Sekretärin bei einem Amtsarzt. Zehn Jahre lang lebte die Familie in Salzburg, bis von Thun-Hohenstein als Chefsekretärin in einer Privatfirma nach München wechselte.
Kurze Zeit nach ihrer Verrentung 1984 zog es die dreifache Mutter und Oma in die USA. Dort lebte sie erst bei ihrem Sohn in Florida, später zog sie zu ihrer Tochter nach Kalifornien und New York. Auch nachdem sie ab 2002 wieder fest in Deutschland wohnte, flog sie fast jedes Jahr wieder zurück in die USA. „Ich war sozusagen ein Vielflieger“, erklärt von Thun-Hohenstein lachend, „ich kenne Amerika von allen Seiten.“
Dass diese Seiten mitunter auch recht abenteuerlich sein konnten, wurde ihr spätestens bei einem Seespaziergang in Florida bewusst. In einer der Pfützen vor ihr badete gerade ein Alligator. „Ich bin über ihn drüber gesprungen“, erklärt die Weltenbummlerin trocken, „er hätte schnappen können, hat er aber nicht.“
Ganz so glimpflich ging es allerdings nicht immer aus. Bei einem anderen Spaziergang konnte von Thun-Hohenstein aus der Ferne beobachten, wie ein Alligator sich einen kleinen Hund schnappte. „Das hat mich dann doch ganz schön erschrocken.“
Fernab von jeglichen Wildtieren lebt die 104-Jährige seit drei Jahren in der ambulanten Wohngruppe in Ering. „Es war ein langes, langes Leben und es war sehr lebendig. Ich bin vor nichts zurückgeschreckt und ich war mutig, ins Leben zu gehen. Es gibt nichts zu bereuen, im Gegenteil.“
Quelle: PNP
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